Page 52 - Nachhaltigkeitsmagazin 2020
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Region und Gesellschaft Nachhaltigkeitsmagazin 2020
Um die sogenannte Klimawende doch noch zu scha en,
müssen neben E zienzmaßnahmen vor allem fossile
Energieträger im Verkehr und in der Wärme- und Energie-
„OHNE BILDUNG erzeugung durch erneuerbare Energie ersetzt werden.
Die Bereitschaft für mehr Photovoltaik, Wind- und
ABER, OHNE FREIE Wasserkraft ndet in Österreich allgemein große Zu-
stimmung. Sobald es um konkrete Projekte zur Zielerrei-
WISSENSCHAFTEN, chung geht, ist es mit dem Verständnis oft vorbei. Wie ist
OHNE KUNST UND es um die gesellschaftliche Solidarität bei so wichtigen
Themen bestellt?
KULTUR WERDEN WIR Einem Thema gegenüber kann man prinzipiell nicht solida-
risch sein, und wenn es um Maßnahmen oder den Einsatz
AUCH DIE ÖKONOMI jedoch eine andere Frage. Es gibt auch eine Ökonomie der neuer Technologien zur Energiegewinnung geht, werden
SCHEN UND ÖKOLO Verschwendung, die höchst lustvoll sein kann. Abgesehen immer verschiedene Interessengruppen konkurrieren. Ob
davon ist Nachhaltigkeit für mich prinzipiell nicht nur positiv
solche Umstiege einigermaßen reibungslos funktionieren
GISCHEN PROBLEME besetzt. Nachhaltig ist ja auch der explodierte Reaktor von können, hängt auch davon ab, ob man dabei pragmatisch
Tschernobyl, er wird noch zigtausende Jahre strahlen und
vorgeht oder alles gleich zu einer Glaubensfrage stilisiert.
UNSERER ZEIT NICHT das Leben der Menschen in dieser Region gegen ihren Willen Stehen sich einmal Gut und Böse, Klimaschützer und Klima-
LÖSEN.“ nachhaltig bestimmen. leugner unversöhnlich gegenüber, ist es mit der Solidarität
ohnehin vorbei. Eine kluge Politik würde danach trachten,
Die Corona-Krise hat kurzfristig die Klimakrise aus den genau solche Situationen zu vermeiden. Die Steuerung über
Schlagzeilen verdrängt. Grob vereinfacht kann man Preise ist dabei wahrscheinlich immer noch am e ektivsten.
dazu zwei Positionen vertreten: „Die Menschheit hat sich
auch in vergangenen Krisen immer irgendwie im letzten Wer oder was kann die Menschen zum Umdenken
Moment selbst gerettet, lasst uns darauf vertrauen“, oder bewegen?
Konrad Paul Liessmann arbeitet derzeit an der Verö entlichung seines
neuen Buches „Alle Lust will Ewigkeit“. „Wir steuern unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu, es ist Umdenken ist ein großes Wort. Ich denke, es genügt, wenn
nur eine Frage der Zeit, wann wir untergehen.“ Wie sieht wir einige unserer Gewohnheiten ändern. Für den Einzelnen
das der Philosoph und Ethik-Vermittler Liessmann? ist es ja keine dramatische Wende, wenn der Strom in seinem
Einen letzten Moment hat es in der Geschichte der Mensch- Haus nicht mehr aus einem Kohlekraftwerk, sondern aus
heit bisher noch nie gegeben, außer vielleicht im Kalten einer Photovoltaik-Anlage kommt. Hauptsache, das Smart-
Krieg, als die atomare Selbstauslöschung der Menschheit phone kann aufgeladen werden.
eine reale politische Option war. Aber das war die Sache der
Internet bereitstellt, schnell als Wissender zu fühlen. Oder, um Wie hängen Bildung, nachhaltiges Leben und Wirtschaf- Menschen und nicht eine Bedrohung durch eine Verände- Gibt es Dinge, auf die Sie persönlich verzichten oder
es paradox zu formulieren: Auch der Glaube erscheint heute ten zusammen? rung der Natur. Herbeigesehnt wurde der Weltuntergang verzichten würden, um einen Beitrag zu leisten?
im Gewand des Wissens. Ohne Bildung ist beides nicht möglich. Bildung steht ja der allerdings seit Jahrtausenden immer wieder, meist mit reli- Von Sokrates erzählt man sich, dass er einmal über den gut
Ökonomie nicht feindlich gegenüber, sie ist aber selbst nicht giösen Hintergedanken, um die Menschen zu einem anderen bestückten Marktplatz von Athen schlenderte und ausrief:
Sie haben sich in der Vergangenheit in Ihren Büchern oft ökonomisierbar, weil es dabei letztlich um die Bildung, die Leben zu zwingen. Diese religiöse Färbung und die Aufrufe Wie viel Dinge gibt es doch, die ich nicht brauche. Mir geht
mit dem Thema Bildung auseinandergesetzt. Bildung Formung, die Gestaltung, den Entwurf, den Sinn des mensch- zur Umkehr sind auch in der aktuellen Klimadebatte zu be- es ähnlich. Dass ich nicht zum Shoppen nach London iege,
nicht pragmatisch als Mittel zum Zweck, um kurzfristig lichen Lebens geht. Der Mensch aber, das wusste schon obachten. Das irritiert mich. Fanatisch vorgetragene apoka- werte ich aber weder als großartigen Verzicht noch als einen
erfolgreich zu sein, sondern eher im Sinne humanisti- Immanuel Kant, hat nicht nur einen ökonomischen Wert, lyptische Fantasien helfen uns wenig. Realistisch betrachtet Beitrag zu einer besseren Welt. Es bedeutet mir einfach
scher Bildung als notwendige Lebensgrundlage. Was sondern vor allem eine Würde – und diese ist nicht bezi er- werden wir mit einer Mischung aus Treibgasreduktion und nichts. Allerdings verscha en mir betuchte Prediger des Ver-
spricht für den von Ihnen bevorzugten Bildungsbegri bar. Ohne Bildung aber, ohne freie Wissenschaften, ohne Anpassung an neue klimatische Verhältnisse in den nächsten zichts immer ein Unbehagen.
und warum hat er derzeit wenig Konjunktur? Kunst und Kultur werden wir auch die ökonomischen und Jahrzehnten leben müssen. Das Überleben der Menschheit
Ich nde nicht, dass der klassische Bildungsbegri derzeit ökologischen Probleme unserer Zeit nicht lösen. Wir werden steht wegen des menschengemachten Temperaturanstiegs Auf Ihre Fahrräder würden Sie wohl nie verzichten. Was
wenig Konjunktur hat. Im Gegenteil. Die kritischen Stimmen, sie aber auch nicht lösen, wenn wir Bildung nur darauf hin nicht zwangsläu g auf dem Spiel, schließlich wurden auch macht die Faszination des (Renn-)Radfahrens für Sie aus?
die einer nur auf Nutzen und Verwertbarkeit abgestimmten zwingen. Die besten Ideen kommen Menschen immer dann, glühend heiße Zonen von Menschen besiedelt. Aber für viele Es gibt für mich keine schönere Form des Erfahrens einer
Bildung skeptisch gegenübertreten, mehren sich, Begri s- wenn sie gerade nicht in ein Problemlösungstrainingspro- wird es vielleicht ein anstrengenderes Leben werden. Landschaft als das Dahingleiten mit einem Rennrad. Aber ich
hülsen wie „Kompetenzorientierung“ oder „Digitalisierung gramm involviert sind. weiß schon, dass das keine natürliche Form der Fortbewe-
um jeden Preis“ kann keiner mehr hören, und gerade in der Hängen Klimaschutz und Ressourcenschonung zwangs- gung ist. Das Rad muss schon aus Carbon sein, die Schaltung
Krise sehnen sich viele Menschen nach philosophischen, Nachhaltigkeit ist einer der am meisten verwendeten, läu g mit weniger Wachstum und (Konsum-)Verzicht muss höchsten mechanischen Ansprüchen genügen und die
ethischen und kulturellen Orientierungen. Und wenn ein jun- missverstandenen und missbrauchten Begri e unserer zusammen? Straßen sollen glatt asphaltiert sein. So viel Luxus muss sein!
ger, international erfolgreicher Dramatiker wie Thomas Köck Zeit. Wie würden Sie ihn beschreiben? Natürlich nicht. Es kommt ja darauf an, was wächst und was Gäbe es auf den schönen Straßen dann auch noch weniger
Fragen unserer Zeit auf die Bühne bringen möchte, orientiert Ich selbst mag diesen Begri nicht, er ist zu einer Floskel konsumiert wird. Natürlich kann es sein, dass Flugreisen wie- Autos, wäre das ohnehin schon fast das Paradies. >|
er sich z. B. an der Antigone des Sophokles. Dass nicht mehr verkommen, die man überall anhängen kann. Ich würde der teurer werden und nicht mehrmals im Jahr, sondern nur
Karriereratgeber, sondern philosophische Bücher über die diesen Begri nur in seinem ursprünglichen Sinn verwenden: zu besonderen Anlässen in ein fernes Land ge ogen werden
Fragen unserer Zeit die Bestsellerlisten dominieren, spricht dass man nicht mehr Bäume fällt, als man wieder anp anzen kann. Das aber könnte dazu führen, dass man sich auf diese
auch für eine große Sehnsucht der Menschen nach einer kann. Allgemeiner formuliert: dass man nicht mehr Ressour- wenigen Reisen besser vorbereitet, mehr liest, das würde die
unverkürzten Bildung, egal, was man von diesen Bestsellern cen verbraucht, als man den nachfolgenden Generationen Buchbranche beleben oder virtuelle Reiseanbieter be ügeln.
halten mag. bereitstellen kann. Ob dies dann immer so sein muss, ist Darin sehe ich eigentlich noch keinen Weltuntergang.
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